Von Güster nach Lübeck – eine Winterwanderung

Güster ist schwierig. Besonders jetzt, es sind Winterferien und da fahren höchstens zwei Busse täglich dorthin. Wenn überhaupt. So stehen wir also in Büchen, schnelle 20 Minuten mit der Bahn von Hamburg, und warten. Ein Taxi hätten wir auch genommen, wenn denn eins da gewesen wäre, am Taxistand am Büchener Bahnhof. Oder wenn es dort zumindest eine Telefonnummer gegeben hätte, mit der man ein Taxi rufen kann. Eine Ladeninhaberin erbarmt sich unserer und bestellt ein Taxi. Das kommt dann schnell und gleich gibt es eine Erklärung vom Taxifahrer, warum da keine Rufnummer am Taxenstand zu finden war: Das Gelände gehört nämlich der Bahn und die will das nicht. Punktum, basta! Da fällt uns dann auch nichts zu ein.
Nach kurzen zehn Minuten sind wir in Güster. Was wir da wollen? Hier treffen wir auf den Europäischen Fernwanderweg 1, kurz E1, der von Skandinavien bis ans Mittelmeer führt und den wollen wir bis nach Lübeck gehen, jetzt, in dieser kalten stillen Jahreszeit. Das sind etwa 60 Kilometer, also drei Tage. Und gleich hier in Güster wird es schön: Es waren unter null Grad die letzten Tage, ein wenig Schnee liegt, die meisten Gewässer sind zugefroren und nun gibt es einen wunderschönen Sonnenaufgang über der stillen Landschaft. Gleich hinter Güster überqueren wir den Elbe-​Lübeck-​Kanal, der in diesem Licht aussieht, als wäre er von Caspar David Friedrich in die Landschaft gemalt worden. Einige Schritte weiter und wir sind in einem verzauberten Wald, allüberall hängen Spinnenfäden mit eingefrorenen Eiskristallen, die in der Sonne blinken. So sahen wir das noch nie
Lange Zeit geht es Waldwege entlang und dann, still und verzaubert, in das Naturschutzgebiet Hellbachtal hinein, eine Auenlandschaft. Plötzlich schallt wildes Geschrei durch das Gehölz, aus vielleicht 500 Metern Entfernung. Urschreitherapie? Eisbaden? Eine Psychogruppe beim Lösen ihrer Beziehungsprobleme? Eine Karategruppe, die Bäume fällen übt? Seltsame Zeichen finden sich auf dem Weg eingeritzt Es bleibt ein Rätsel, nach zwanzig Minuten verstummen die seltsamen Geräusche. Nur noch ein Specht ist zu hören, dazu ein paar Vögel, die Kleiber sein könnten. An dieser Stelle ist es vielleicht angebracht, darauf hinzuweisen, dass es mit meinen ornithologischen Kenntnissen nicht weit her ist, ich kann so gerade noch Blaumeisen und Kohlmeisen auseinanderhalten, auch kann ich sicher Störche und Schwäné unterscheiden, aber schon bei Rotkehlchen und Dompfaffen wird es schwierig. Das was dann hier vor uns auf einer Baumkrone sitzt, könnten jedenfalls Fischreiher sein (oder Kraniche?) und zwar gleich ein ganzer Schwarm. Ein wenig gelangweilt hocken sie dort oben, ab und an segelt mal einer hinunter und schaut nach, ob da Fische im Bach sind.
Der Hellbach übrigens verbindet die hier liegenden Eiszeitseen miteinander: Den Schwarzsee, den kreisrunden Lottsee, den Krebssee (dessen Wasser so klar ist, dass man mehrere Meter tief schauen könnte, wäre er nicht gerade mit Eis bedeckt), den Drüsensee und schließlich den Lüttauer See, an dessen Nordende Mölln liegt. Aber dort sind wir noch nicht. Am Ostufer des Lüttauer Sees nehmen wir bei Sonnenuntergang über dem See ein Picknick: Schmalzbrot mit frischem Knoblauch, dazu einen schön durchgekühlten Pflaumenbrand. Vielleicht eine eigenwillige Kombination, aber genau richtig jetzt. Und eben ein wunderschöner Platz, ein wenig surreal nahezu: Auf dem Eis liegen ganz still einige Schwäné in der Sonne, am Ufer wagen sich ein paar Kinder einige Schritte auf den See, zumindest bis es diese seltsamen Geräusche im Eis gibt und über unseren Köpfen schwebt ein Heißluftballon.
Wir erreichen Mölln bei Dämmerung. Für den Abend und das Wochenende besorgen wir noch Brot und Wein, und dann schauen wir uns die Altstadt, den Dom und das Eulenspiegel-​Denkmal an. Tills Finger und der Schuh sind ganz blank, da soll man dran reiben, das bringt Glück. Machen wir vorsichtshalber auch. Und dann hängt da irgendwo noch ein kleines Plakat: Heute kommen die Hurensöhne nach Mölln. Hurensöhne? Punk? Kabarett? Ost-​Rock — und zwar vom Feinsten! Wir gingen zu ihnen und sie ließen ihren Drachen steigen! (Ihr wisst schon: Die Legende von Paul und Paula) Der Ort des Konzertes war ungewöhnlich, ein sehr kleines Restaurant, das Helmers mit etwa drei Tischen, einigen Hockern an der Bar und guten 4 Quadratmetern für die Band. Insgesamt mögen es 15 Gäste gewesen sein. Aber die Band hat alles gegeben und jeder Ohrwurm war dabei: Alt wie ein Baum, Schwäné singen hören, Die Rockerrente und was eigentlich nicht im Programm war wurde dann als Jam-​Session improvisiert: Am Fenster nämlich. Dann sind wir auch noch Über sieben Brücken gegangen, und so dauerte das Konzert einfach mal doppelt so lange, als es wohl geplant war.
Unsere Übernachtung haben wir im Hotel Hamburger Hof gebucht. Ein kleines Haus, das früher wohl auch einmal eine Kneipe war. Aber unser Zimmer ist richtig groß, mit siebziger-​Jahre-​Möbeln, aus dem Fenster ein Blick über den Möllner See